Bäcker/in - Ein absolut unterschätztes Berufsbild - Teil 1

(Lesezeit: ca. 8,5 Minuten)

Meisterkurs im Bäckerhandwerk an der Akademie deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim

Heute beginne ich über ein Themas schreiben, das sowohl uns, als auch 99% aller Bäckereien ziemlich regelmäßig begegnet. Ganz wichtig ist, ich schreibe hier über meine eigene Meinung dazu, welche Ihr respektieren solltet. Selbstverständlich dürft Ihr mir in der Kommentarspalte zustimmen, eure Meinung näher bringen, diskutieren und in Frage stellen - aber bleibt bitte respektvoll!

Bäcker/in - Ein absolut unterschätztes Berufsbild - Teil 1


Der Übersicht zuliebe, und damit Ihr jetzt nicht auf einmal zwei Stunden lesen müsst, unterteile ich das Ganze  nach den entsprechenden Themen (z.B. Ausbildung im Handwerk, Lohn, Arbeitszeiten) und veröffentliche einen Teil nach dem anderen. Womit wir beginnen ist ja klar, mit dem Anfang:

Ausbildung im Handwerk


Das erste Mal darüber nachdenken, was man einmal werden möchte, findet ja schon sehr früh in der Kindheit statt. Aber niemand sagt einem Kind dann gleich etwas wie "das ist unrealistisch", "Studium wird überschätzt", "was willst du als Astronaut denn erreichen" oder "ich habe noch keine freie Ausbildungsstelle zum zertifizierten Superhelden gesehen". Stattdessen lässt man die Kinder weiterhin davon träumen, was sie einmal werden möchten, und das hat einen guten Grund: Ziele motivieren uns, egal wie realistisch oder sinnvoll diese sind.

Die meisten Eltern scheinen dies jedoch zu vergessen, und mischen sich in der Schulzeit dann doch sehr deutlich in die Berufswahl ihrer Kinder ein - zumindest habe ich das so in meiner Kindheit um mich herum mitbekommen, meinen Eltern war glücklicherweise sehr wichtig, dass ich mir selbst einen Kopf darum mache.

Auch heute hört man im Laufe von Bewerbungsgesprächen, auf Berufsmessen oder z.B. auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln von ähnlichen Erfahrungen. "Geh' studieren, damit mal was aus dir wird", "Mach' lieber was richtiges" - kommt euch das bekannt vor? Doch was ist etwas "richtiges"? Das ist meiner Meinung nach der größte Denkfehler von vielen - denn es gibt nicht DAS EINE RICHTIGE, sondern nur das richtige für diese eine Person.
Wenn Ihr auf die Arbeit geht, wie motiviert seid ihr da? Wenn Ihr im Hörsaal sitzt, wie glücklich seid ihr dort? Was bringt euch ein Beruf, für den Ihr studiert habt, wenn er dafür sorgt, dass Ihr schon Freitags zu Feierabend genervt seid, weil Ihr Montags morgens wieder hin müsst? Richtig - nichts.

Wenn ein/e Jugendliche/r es liebt zu backen oder mit Holz zu arbeiten, wieso ist es dann nicht etwas "richtiges", wenn man dann in eine Ausbildung im Handwerk geht? Wegen dem Geld? Klar, es gibt in jedem Beruf unterschiedlich hohe Gehälter und das Handwerk hat den Ruf, besonders schlecht zu bezahlen. Das ist zum einen jedoch nicht immer richtig, schließlich gibt's Betriebe die faire und vernünftige Löhne zahlen, zum Anderen liegt genau das jedoch nicht immer an den jeweiligen Betrieben. Denn alles Beginnt mit der Wertschätzung (und der Wertschöpfung).

Ein Blick in andere Länder der EU zeigt uns schon einmal, wir Deutschen geben so ziemlich am wenigsten für unsere Nahrungsmittel aus: Im Jahre 2019 nahmen Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke rund 10,8% der Konsumausgaben(1) in Deutschland ein. In Spanien waren es 12,5%, in Italien 14,2% und beim Spitzenreiter des Rankings, Rumänien, sogar 26,2%. Wovon das wohl kommt? Davon, dass wir spottbilliges Fleisch aus verabscheuenswürdiger Haltung kaufen? Davon, dass unsere Milchbauern ums Überleben kämpfen, weil die Preise Jahrelang von den Großhandelskonzernen so stark gedrückt wurden, dass die Kosten des Bauernhofes die Einnahmen häufig um ein Mehrfaches überstiegen? Es ist vieles davon, aber in erster Linie liegt es natürlich an uns selbst. Wie wichtig ist uns unser Körper? Wie hoch schätzen wir unsere Umwelt und die Natur? Denn aktuell sieht es so aus, als lebten wir nach dem Prinzip "nach mit dir Sintflut". Das hier jetzt weiter auszuführen, würde den Blog sprengen, denn mit dieser Problematik könnte selbst ich als Laie in diesem Thema einen Hörsaal für mehrere Stunden unterhalten. Grob zusammengefasst: Es fehlt uns an Wertschätzung!

Und eben hier rührt es her, dass ein hochwertiges Handwerksbäckerbrötchen durchschnittlich rund 0,40€ - 0,50€ kostet, ein Kilo Brot häufig keine 4,00€. Im Discounter oder an der Tankstelle (wer kommt denn auf die Idee, an einer TANKSTELLE Backwaren zu kaufen?!) gibt's dann z.B. 5 Aufbackbrötchen für 0,99€ oder ein Kilo Brot für schlappe 1,99€. Qualität? Fehlanzeige. Handwerk? Weit gefehlt. Verträglichkeit, sowohl für den menschlichen Verdauungsapparat, als auch für eine nachhaltige Landwirtschaft oder gar für ein ausgewogenes Wirtschaftssystem? Keineswegs. Ja, Ihr habt richtig gelesen, auch unsere Wirtschaft wird hiervon nachhaltig negativ beeinträchtigt. Aber auch das ist eigentlich ein komplett eigenes Thema, über welches es sicherlich bereits einige Bücher zu lesen gibt.

Zuerst einmal muss eben das Geld rein kommen, das man dann für seine Mitarbeiter/innen ausgeben kann. Und das ist im Handwerk so einiges. Im Bäckerhandwerk (das sind wohlgemerkt noch immer über 10.000 Betriebe in Deutschland(2) mit über 260.000 Beschäftigten!) liegt der Anteil von Personalkosten um Gesamtumsatz bei durchschnittlich etwa 45%(3). Dazu rechnet man mit einem Anteil an Rohstoff- und Produktionskosten von in unserem Fall etwa 19%. Es bleiben also noch rund 36% vom Umsatz übrig. Dann ziehen wir mal noch Versicherungen, Raumkosten, Steuern und Gebühren, Fuhrpark und die Instandhaltung von Maschinen, Fahrzeugen und Geräten ab. Ihr merkt sicherlich auch, langsam wird's eng. Und  als Einzelunternehmen fehlt hier noch eine ganz wichtige Größe: der Unternehmerlohn, also das Geld für den Unternehmer selbst. Dieser hat keinen Arbeitsvertrag, und deshalb auch keinen festen Lohn, wie man es als Angestellte/r kennt. Er lebt mehr oder weniger von dem, was nach Abzug aller Kosten noch übrig bleibt. Dementsprechend ist es eine Art von Kunst, seine Backwarenqualität und seine Kostenkalkulation genau im Blick zu behalten, damit man einen gerechtfertigten und fairen Preis für seine Backwaren verlangen kann - und zufriedene Kund/innen diesen auch zahlen. Und ebenso genau muss man kalkulieren, wie viel Lohn man zahlen kann - das sorgt im Handwerksbereich, wo der prozentuale Personaleinsatz nunmal so hoch ist, zu eher geringeren Löhnen im Vergleich z.B. zu einer Versicherungsgesellschaft, in welcher der Gewinn weit höher und die prozentualen Personalkosten wesentlich niedriger liegen, da viel Arbeit beispielsweise durch Software erledigt werden kann. Die Frage, warum das Ausbildungsgehalt im Handwerk vergleichsweise gering ist, ist schnell beantwortet: Früher haben Auszubildende noch zuhause gewohnt, hatten kein Auto, kein Smartphone und auch die weiteren Ausgaben waren vergleichsweise niedrig. Da die Handwerksbetriebe nicht wesentlich mehr Umsätze erzielt haben, während Auszubildende jedoch immer mehr Kosten haben, wurden Ausbildungsgehälter auch nicht groß angepasst an diese Ausgaben.

So, wir haben dann jetzt die Wertschätzung des Berufes und das mit dem Geld schon einmal angesprochen. Ein klassisches weiteres Thema sind die Arbeitszeiten. Ja, der Großteil der Handwerksbäckereien produzieren überwiegend nachts - schließlich sollen morgen früh ofenfrische Brötchen verfügbar sein. Früher war es bei uns so, dass wir erst etwas später nachts angefangen habe, was zum Einen an der geringeren Menge gelegen hat, welche wir nachts backen. Zum Anderen lag das daran, dass morgens kaum jemand ein frisches Brot brauchte. Die meisten Kund/innen kamen entweder zwei Mal am Tag, oder eben erst ab Vormittag. So konnte man das Brot auch entsprechend erst später backen. Heute haben wir uns gesellschaftlich dahin entwickelt, dass das Brot schon früh morgens verfügbar sein muss, da ein Großteil der Kund/innen (je nach Region und Lage der Bäckerei natürlich unterschiedlich) schon früh morgens Ihr Brot kaufen möchten - nämlich auf dem Weg zur Arbeit. Nach der Arbeit ist keine Zeit mehr in Ruhe frisches Brot zu kaufen, denn inzwischen arbeiten viele Menschen den überwiegenden Teil des Tages, und schaffen es so nicht, den Öffnungszeiten von Handwerksbäckereien gerecht zu werden. (Auch dies führt häufig dazu, dass Brot im Supermarkt gekauft wird, nur einmal so am Rande erwähnt.)
Das führt im Umkehrschluss alles dazu, dass der Großteil der Produktion in einer Handwerksbäckerei (mit einem großen Sortiment, denn reine Brotbäckereien haben hier eine deutlich andere Produktionsplanung) im Laufe der Nacht und des Vormittages produziert wird.

Auf unseren Produktionsablauf bezogen etwas verdeutlicht:
Brote und Brötchen müssen morgens um 6:00 Uhr in der Theke bzw. im Brotregal liegen, demnach müssen wir die ersten Brotteige (Vorteige und Sauerteige werden bereits im Vormittagsbereich des Vortages hergestellt) bereits nachts laufen lassen. Damit die Brote ausreichend Ruhe- und Reifezeiten zwischen den einzelnen Arbeitsschritten haben und dennoch rechtzeitig gebacken und in unsere Fachgeschäfte gefahren werden können. Die Bäcker/innen sind also in der Backstube. Dann spart es uns viel Geld, wenn wir diese Zeit auch ordentlich nutzen, anstatt eine zusätzliche zweite Schicht mittags arbeiten zu lassen. Deshalb werden in den Zwischenzeiten Brötchen für den Folgetag, Plunder- und Blätterteiggebäcke und vieles weitere hergestellt. So ist die Zeit effektiv und effizient genutzt. Der klassische "Arbeitstag" beginnt also um 2:45 Uhr und endet, nach den Reinigungsarbeiten, etwa zwischen 10:00 und 11:00 Uhr.

Das schreckt viele junge Menschen ab. Ich persönlich finde die Arbeitszeiten garnicht mal so schlecht, und zeige Euch hier mal die Vorteile, wenn man seinen Schlaf aufteilt (was bei uns im Betrieb die meisten machen):
- Mittags immer frei (man denke an's Schwimmbad im Sommer, oder Shoppen gehen, wenn andere noch arbeiten)
- kein Verkehrschaos auf dem Weg zur Arbeit
- durch aufgeteiltes Schlafen ist auch Abends mal weggehen oder länger auf bleiben (zumindest für mich) kein Problem
- wenn man mal keine Lust hat, abends loszuziehen - die perfekte Ausrede ;-)

Nächstes Argument: "Man hat doch gar keine Aufstiegschancen!". Das ist prinzipiell erst einmal falsch. Es gibt viele verschiedene Fortbildungen, z.B. zum Bäckermeister, Betriebswirt des Handwerks, Brot-Sommelier und mehr. Diese können einen dazu befähigen in der aktuellen Bäckerei aufzusteigen, z.B. zur Backstubenleitung, oder gar seine eigene Bäckerei zu eröffnen. Außerdem kommt hier noch etwas ganz spezielles mit in's Spiel, was zwar nicht direkt mit Aufstiegschancen bzw. einer Weiterbildung für einen Aufstieg verbunden sein muss, jedoch die perfekte Möglichkeit zur Verbesserung seiner Kenntnisse und Fertigkeiten und zum Sammeln vieler Erfahrungen ist: die Bäckerwalz(4)! Richtig gelesen, die Walz gibt's nicht nur (wie die meisten vermuten) unter Zimmermannsleuten, sondern unter anderem auch unter Bäcker/innen. Ich hatte auch schon die Möglichkeit, mit einem Bäcker auf der Walz zu quatschen - WAHNSINN! Zugegeben, für mich wär's jetzt nichts, aber ein Bisschen neidisch wird man dennoch, wenn man sich die spannenden Geschichten anhört.

So - mir fällt aktuell kein weiteres Argument ein, welches sonst immer genannt wird. Gerne könnt Ihr mir hier in den Kommentaren noch viele mehr aufzählen, zu welchen ich Rede und Antwort stehe. Aber eines möchte ich gern noch zusammenfassend sagen:

Ich kann Eltern nicht verstehen, welche Ihrem Kind zu einem Beruf raten, welcher sie vielleicht einmal Reich (an Geld) macht, jedoch nicht glücklich. "Was kann ich mir von Glück kaufen?" ist absolut die dümmste Frage - denn viele Menschen kaufen Dinge, um die Leere zu füllen, die das fehlende Glück hinterlassen hat. Wenn es sich nicht anfühlt, wie auf die Arbeit zu gehen, habt Ihr den perfekten Job. Wenn die Kollegen sich wie Freunde anfühlen, die perfekte Arbeitsumgebung. Wenn ich aus der Backstube nach hause gehe, kann ich mir ein Brot mitnehmen, welches ich selbst hergestellt habe. Damit halte ich etwas wertvolles in den Händen, hergestellt aus einfachsten Rohstoffen, vollendet zu einem der weltweit wichtigsten Nahrungs- und Genussmittel. Wenn Ihr nach 8 Stunden Büroschreibtisch nach hause kommt, was habt Ihr erreicht?

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Das war Teil 1, in den kommenden Wochen gehe ich noch einmal etwas genauer auf die Themen Löhne (Geselle/in, Meister/in, Positionen, Zuschläge) und Arbeitszeiten (Nachtarbeit, Tagschichten, Zuschläge) ein. Solltet Ihr noch weitere Themenvorschläge oder aber Ergänzungen, Richtigstellungen, Kritik oder Lob haben, hinterlasst mir gerne einen Kommentar. Ich hoffe, ich kann Euch hiermit etwas mehr Hintergrundinformationen und auch etwas von meiner Meinung näher bringen. - Euer Chris

Quellen:

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